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Phonographie

Das Wort Phonographie gehört in eine Gruppe mit anderen Begriffen wie Phonograph oder Phonogramm. Alle drei Begriffe nehmen ihren Ursprung aus dem Griechischen – phonē (Klang, Stimme), graphē (schreiben) oder gramma(etwas Geschriebenes) – und beziehen sich auf sämtliche Techniken, Praktiken und Objekte rundum das Phänomen der Klangschrift. Mit dem Begriff Phonograph wird heutzutage eine Gruppe von historischen Maschinen gemeint, die Geräusche, Stimme, Klang, Musik – allgemein und physikalisch gesprochen – Schallwellen in oder auf eine Oberfläche einschreiben und das klingende Ereignis damit vergegenständlichen, dem Fluss der Zeit entziehen und es damit speicher-, übertrag- und prozessierbar machen. Die dazugehörigen Techniken und Praktiken des Klangschreibens werden unter dem Begriff Phonographie subsumiert. In den Worten von Patrick Feaster: „Phonography itself is now identified with the practice of inscribing sound in terms of a waveform that can then be automatically ‘reproduced’ as sound and is intended for listening rather than for visual reading. Phonography has come to be associated less with writing sounds down than with fixing them repeatably as sounds.” (Feaster 2015: 139–140)

Auch wenn Eric Rothenbuhler und John Durham Peters (1997) nachvollziehbar vorschlagen, unter dem Begriff Phonographie ausschließlich analoge Klangschreiber zusammenzufassen, so spricht aus dem Terminus ein grundsätzliches Prinzip und Bestreben, das eine Vielzahl anderer Aufnahme-, Speicher- und Abspielmedien wie das Tonbandgerät, Soundfiles und CDs miteinbeziehen möchte: das Aufschreiben und Konservieren von klanglichen Ereignissen, die durch die Verschriftlichung auch reproduzierbar werden. Unter dieser etwas offeneren Definition entfaltet sich eine vielgestaltige und weit zurückreichende Geschichte der Klangschreiber und des Klangschreibens. Auf einige Meilensteine dieser Geschichte soll im Folgenden eingegangen werden.

Der Phonautograph

Auch wenn sich durchaus verargumentieren lässt, dass auch historische oder zeitgenössische Schreibsysteme, die mitunter auf Lautzeichen beruhen, als phonographisch gelten, so hat sich jedoch eine wissenschaftliche Traditionslinie zwischen experimenteller Physiologie, Akustik und Mechanik durchgesetzt, die mit der Phonographie die Aufzeichnung von Schallschwingungen als ein Ereignis in der Zeit bezweckte. Für eine Vielzahl früherer phonographischer Experimente gilt folgender Aufbau: Ein Schreibwerkzeug wird an einem Klangkörper (bspw. Stimmgabel oder Saite) angebracht, welcher in Schwingung versetzt wird. Durch die angeregte Schwingung schwingt auch das Schreibwerkzeug mit, dessen Bewegungen auf einer sich meist drehenden Oberfläche (bspw. eine sich drehende Papier- oder Wachsrolle) als Linie resp. Wellenform aufgeschrieben und dadurch sichtbar gemacht werden. Einen frühen Hinweis für ein vergleichbares Experiment finden wir bereits in Galileo Galileis „Discorsi e dimostrazioni matematiche“, zu Deutsch „Mathematische Demonstrationen über die Mechanik“ aus dem Jahr 1638. Darüber hinaus beschäftigten sich auch Thomas Young Anfang des 19. Jh. und Jean-Marie Constant Duhamel Mitte des 19. Jh. mit unterschiedlichen Verfahren der Klangschrift.

Letztlich trägt jedoch Édouard-Léon Scott de Martinville das phonographische Wissen seiner Zeit zusammen und lässt 1857 seinen „Phonautographen“ patentieren. Der Anekdote nach redigierte Scott de Martinville im Jahr 1852 eine physiologische Arbeit, die sich mit der Funktionsweise des Ohres auseinandersetzte. In der These jener Abhandlung wurde postuliert, dass sich Frequenz des schwingenden Trommelfells und Frequenz von Klangerzeuger entsprächen. Von dieser Idee geleitet, entwarf Scott de Martinville ein künstliches Ohr, das die eintreffenden Schallwellen als Wellenlinien auf einer sich bewegenden Oberfläche aufzeichnete. Lässt Scott de Martinville den Apparat 1857 patentieren, so geht er 1859 bereits in die Produktion. Bekanntheit erlangte vor allem jene Version des Phonautographen, bei dem Klänge über einen Schalltrichter aufschreibbar gemacht werden konnten. Über eine große Schalltrichteröffnung konnte eintreffender Schall gebündelt werden, der eine am Ende des Trichters gespannte Membran zum Schwingen angeregt hat. Ein an der Membran befestigter Stift oder Schreibwerkzeug wurde so ebenfalls zum Schwingen gebracht, der so eine wellenförmige Linie auf einer mit rußgeschwärztem Papier umwickelten, sich drehenden Rolle hinterließ. Jene Apparaturen wie der Phonautograph von Scot de Martinville zeichnen automatisch Schallschwingungen auf, hierin ähneln sie späteren Phonographen wie dem von Edison oder auch dem Prinzip der Langspielplatte. Der Phonautograph dient dem Sichtbarmachen von Klang, nicht der Wiedergabe resp. der Reproduktion des aufgeschriebenen Klangs. Dass die frühen Aufnahmen von Scott de Martinville heute doch hörbar sind, ist Patrick Feaster, David Giovannoni, Richard Martin und Meagan Hennessey zu verdanken. Mithilfe kontaktloser optischer Scans gelang es dem Team um Patrick Feaster im Jahr 2008 ein Phonautogramm, also eine Schallaufzeichnung durch den Phonautographen, vom 09. April 1860 hörbar zu machen. Zu hören ist das französische Volkslied "Au Claire de la Lune", welches von Édouard-Léon Scott de Martinville aufgenommen wurde. Auf der Website des Forschungsprojektes sind diese und weitere frühere Aufnahmen hörbar. 

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Modell eines Phonautographen von Édouard-Léon Scott de Martinville von 1859 (Franz Josef Pisko, Die neueren Apparate der Akustik (Vienna, 1865). Downloaded from firstsounds.org © Édouard-Léon Scott de Martinville (1817–1879)

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Klangschrift eine Phonautographen - "Das Gleiche lässt sich erreichen beim Mitschwingen einer gespannten Membran. Fig. 51 ist die Copie einer Zeichnung, welche mittelst einer solchen schwingenden Membran, der des Phonautographen der Herren Scott und König zu Paris, aus- geführt ist. Die trommelfellähnliche Membran dieses Instruments trägt ein kleines steifes Stielchen, welches auf einem rotiren- den Cylinder die Schwingungen der Membran aufzeichnet. Die Membran war in dem hier vorliegenden Falle durch zwei Orgel- pfeifen, welche Schwebungen geben, in Bewegung gesetzt. Man sieht an der Wellenlinie, von der hier nur ein kleines Stück dar- gestellt ist, wie Zeiten starker Schwingung gewechselt haben mit Zeiten, wo fast Ruhe eintrat." (Helmholtz 1863, S. 248) © Hermann von Helmholtz (1821-1894)

Vom Zinnfolien-Phonograph zur Schellackplatte

Ca. 20 Jahre später sollte auch die Wiedergabe von phonographisch aufgezeichneten Klängen der Öffentlichkeit präsentiert werden. Thomas Edison stellt 1877 und 1878 mit seinem „sprechenden Phonographen“ einen Apparat vor, der dem Phonautographen-Prinzip ähnlich Schallwellen aufschreibt (auch hier bewegt sich ein an einer Membran befestigter Stift den Schallwellen folgend auf und ab und markiert eine wellenförmige Linie in dem Fall auf Stanniolpapier, welches einen rotierenden Zylinder umspannt). Die Besonderheit ist nun jedoch, dass zusätzlich zum Schreibmechanismus ein Abspielmechanismus verbaut ist. Hierfür läuft eine an einer Membran befestigte Nadel über die phonographisch aufgezeichneten Linien, was dazu führt, dass die Membran entsprechend der „Klangaufzeichnung“ zu schwingen beginnt und der geschriebene Klang wieder hörbar wird. Das reproduzierte Klangereignis entspricht jedoch nicht dem exakten Original, ist also keine getreue Kopie des Originals, sondern trägt nun hörbare Merkmale der Aufnahme- und Wiedergabetechnik (bspw. Rauschen).

Wiederum zehn Jahre später, also 1887, reicht Emil Berliner ein Patent für einen scheibenförmigen Tonträger ein, in den bei der Klangaufzeichnung eine von außen nach innen schneckenförmig verlaufende Rille mithilfe der sogenannten Seitenschrift geritzt wird. Aufnahme- und Abspielgerät für diese Art Tonträger, das ursprüngliche Grammophon, sind ebenso Teil des Patentes. Die anfangs aus Hartgummi gefertigten Schallplatten haben einen Durchmesser von 12,5 cm. Bereits 1897 werden die Hartgummiplatten von einem (u.a.) Ruß- und Baumwollgemisch ersetzt, bei dem Schellack, eine harzige Substanz aus den Ausscheidungen der Lackschildlaus, als Bindemittel zum Einsatz kommt. Schellackplatten sind mit 25-30 cm Durchmesser doppelt so groß wie ihre Vorgänger und haben aufgrund ihrer 78 rpm (rounds per minute) eine Abspieldauer von ca. vier Minuten pro Seite. Erst ab den 1950er-Jahren wird die Schellackplatte von der bis heute geläufigen Vinyl-Schallplatte abgelöst.

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Zinnfolien-Phonograph von Thomas Edison © Deutsches Phonomuseum

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Tiefenschriftverfahren - der Schneidstichel bewegt sich auf und ab © Max Alt

Tiefenschrift

Das Schriftverfahren, mit dem die ersten Phonographenwalzen und Schellackplatten beschrieben wurden, wird Tiefenschrift genannt. Das Prinzip ist simpel: Der spitz zulaufende Stichel folgt im Grunde genommen der Auslenkung einer Membran, was zu einer Auf- und Abwärtsbewegung des Schreibkopfes und damit des Stichels führt. Die Rillentiefe entspricht damit der Amplitude, die Geschwindigkeit der Bewegung folgt der Frequenz. Die Besonderheit der Tiefenschrift ist, dass die Rillenbreite permanent variiert, da der Stichel mal mehr, mal weniger tief in das Material der Schallplatte schneidet. Bei der Tiefenschrift handelt es sich um eine Klangaufzeichnung in Mono.


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Seitenschriftverfahren - der Schneidstichel bewegt sich nach links und rechts © Max Alt

Seitenschrift

Ein weiteres Monoverfahren der Klangaufzeichnung ist die sogenannte Seitenschrift. Hierbei lenkt der Schreibkopf nach links und rechts aus. Die Tiefenauslenkung des Stichels bleibt stets konstant, was zu einer gleichbleibenden Rillentiefe und einer höheren Klangqualität führt. Das Seitenschrift-Verfahren wurde 1888 von Emil Berliner eingeführt und fand vielfach bei Grammophonen Anwendung.


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Flankenschrift - eine Kombination aus Tiefen- und Seitenschrift, die durch das Beschreiben der Rillenflanken die Aufzeichnung und Wiedergabe von Stereo- und Monosignalen ermöglicht © Max Alt

Flankenschrift

Bei der Flankenschrift handelt es sich um Kombination aus Tiefen- und Seitenschrift, was u.a. das Schreiben von Stereoquellen ermöglicht und für eine deutlich verbesserte Klangqualität sorgt. Hierfür werden die Seiten der Rille, die Flanken, jeweils mit dem rechten und linken Kanal des Stereosignals beschrieben. Das Verfahren wurde bereits um 1930 von Alan Blumlein entwickelt. Marktreife und Verbreitung erlangte das Stereoschriftverfahren jedoch erst Ende der 1950er-Jahre.


  • Feaster, Patrick. "Phonograph". In Daniel Morat & Hansjakob Ziemer (Hrsg.), Handbuch Sound, Stuttgart: J.B. Metzler 2018, S. 348–352.
  • Feaster, Patrick. "Phonography". In Matt Sakakeeny & David Novak (Hrsg.), Keywords in Sound, Durham: Duke University Press 2015, S. 139–150.
  • Großmann, Rolf. "Die Geburt des Pop aus dem Geist der phonographischen Reproduktion". In Christian Bielefeldt, Udo Dahmen, und Rolf Großmann (Hrsg.), PopMusicology. Perspektiven der Popmusikwissenschaft, Bielefeld: transcript Verlag 2008, S. 119–134.
    Großmann, Rolf. "Gespielte Medien und die Anfänge 'phonographischerArbeit'". In Marion Saxer (Hrsg.), Spiel (mit) der Maschine. Musikalische Medienpraxis in der Frühzeit von Phonographie, Selbstspielklavier, Film und Radio, Bielefeld: transcript Verlag, 2016, S. 381-398.
  • Haffner, Herbert. "His Master’s Voice". Die Geschichte der Schallplatte. Berlin: Wolke 2011.
  • Rothenbuhler, Eric W. & Peters, John Durham. "Defining phonography. An experiment in theory." In The Musical Quarterly 81 (2/1997), S. 242–264.
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