Universität Bonn

Sound Design in digitalen Umwelten

Overdubbing

Overdubbing zählt zu den ältesten und wesentlichen Praktiken produzierter Musik. Gemeint ist damit das Aufnehmen von Audiosignalen über bereits aufgenommene Audiospuren. Overdubbing ist damit stets ein audiotechnischer und performativer Prozess. Aus Perspektive der Signalverarbeitung und Audiotechnik ist Overdubbing eine Form der Summierung von Audiosignalen in Echtzeit. Performativ gesprochen handelt es sich um Formen der Improvisation, des Arrangierens, des begleitenden und solistischen Instrumental- oder Vokalspiels sowie der Aufnahme.

Overdubbing ist ein elementarer Bestandteil analoger und digitaler Musikkulturen, der heute als selbstverständlich angesehen werden kann. Die Geschichte des Overdubbing reicht jedoch zurück bis in die Anfangszeit des Phonographen. Grundlage für das Overdubbing-Verfahren ist ein Apparat, der Audiosignale gleichzeitig abspielen und aufnehmen kann. Schon Thomas Alva Edison soll 1877 mit seinem Zinnfolien-Phonographen entsprechende Experimente vorgenommen haben. Da die Zinnfolie unter jedem Aufnahme- und Wiedergabevorgang erheblich gelitten hat, war das frühe Overdubbing-Verfahren allerdings wenig praktikabel.

Die musikalischen Experimente mit Overdubbing-Techniken der 1930er- und 1940er-Jahre ebneten letztlich den Weg für das heutige Selbstverständnis der Aufnahme- und Spielpraxis. Hinter den Aufnahmen „Blues of Bechet“ (RCA 1941) und „The Sheik of Araby“ (RCA 1941) von Sidney Bechet’s One Man Band versteckt sich der Multiinstrumentalist Sidney Bechet, der für diese zwei Tracks Klarinette, Sopran- und Tenorsaxophon, Klavier, Bass und Schlagzeug selbst nach und übereinander aufgenommen, also per Overdubbing eingespielt und arrangiert hat.

Ein weiterer Name, der unweigerlich mit Overdubbing in Verbindung gebracht wird, ist Lester William Polsfuss, besser bekannt als Les Paul. Der Gitarrist und Songwriter gilt als einer der Pioniere des Overdubbing und dem sogenannten Sound-on-Sound-Verfahren. Schon in den frühen 1930er-Jahren nutzte Les Paul Acetat-Platten zum Aufnehmen und Overdubben von Tracks. Les Paul beschreibt seinen frühen Overdubbing Prozess wie folgt:

I built two disc machines, and I’d bop between them while I played the first part and then added the second, third, fourth, fifth parts and so on. However, that was a rather difficult way of doing things, and the sound on sound also became a little tricky because of the degeneration that took place. After you’d go 25, 30 dubs down that first part got to sound pretty bad. So, what we did was layer the parts down in the order that would best cope with the sound deterioration. Instead of putting the first part on first, we might put it on last — it was all about the importance of the part we were dealing with. If I was beating out a drum part, a rhythm, with my hands on the guitar, that could deteriorate all it wanted and it didn’t matter, and the same applied if I was just laying down some organ chords with tremolo on them. The important thing was the first part of a vocal or the first part of a guitar solo, so we'd plan things out and what went down would not be in a logical order like it would today when you lay down the rhythm tracks, the melody, the harmony. We didn't do it that way at all. And that was one of the key secrets as to why the balances came out right. When you listen to those old recordings you might say, 'My goodness, how in the world did they know how loud to make the bass and how loud to make the second part or the third part? How could they get everything that exact?' Well, that was because we'd lay down the least important parts first and then work our way through the recording until the parts that we'd want to hear the clearest and cleanest went on last. It was a very unusual way of recording, but that's what we had to do. (Quelle)

Der Nachteil des Disc-to-Disc-Overdubbing war das geringe Frequenzspektrum der Platten, weswegen die Klangqualität der aufgenommenen Spur bei jedem neuen Overdub deutlich schlechter wurde. Die neue Magnettonbandtechnik, die sich im Laufe der 1950er-Jahre zunehmend etablierte, stellte vor allem was die Klangqualität angeht, eine erhebliche Verbesserung dar. Da Les Paul schon erfolgreich Overdubbing mit Acetat-Platten realisieren und hierbei einige wichtige Erfahrungen und Routinen sammeln konnte, fiel ihm die Umstellung auf die moderne Tonbandtechnik leicht. Er entwickelte eine Technik, bei der er nur mit einem Tonbandgerät Overdubbing realisieren konnte. Dafür montierte er einen zusätzlichen Wiedergabekopf vor (!) die bereits vorhandenen Lösch-, Aufnahme- und Wiedergabeköpfe. Der zusätzliche Wiedergabekopf spielte das bereits Aufgenommene in Les Pauls Kopfhörer, sodass er über bereits aufgenommenes Material weitere Spuren hinzufügen konnte.

Tonbandmaschine
Aufbau einer Bandmaschine © Max Alt
Tonbandmaschine Overdubbing.png
Aufbau einer Bandmaschine mit zusätzlichem Wiedergabekopf für das Overdubbing-Verfahren © Max Alt

Veröffentlichungen wie Les Pauls „Lover“ (Capitol Records 1948) und „How High the Moon“ (Capitol Records 1951), das in enger Zusammenarbeit mit seiner Frau Mary Ford entstanden ist, markieren Wendepunkte, die die Overdubbing-Technik als musikästhetisches Mittel zur Ausgestaltung von Klang und Komposition etablieren. Doch auch andere Produzenten und Künstler*innen machten zeitgleich Gebrauch von der neuen Aufnahmepraxis. „Confess“ von Patti Page (Mercury Records 1948) ist aus zweierlei Perspektive popmusikhistorisch relevant. Neben den im Disc-to-Disc-Overdubbing-Verfahren zusätzlich aufgenommenen Stimmen von Patti Page, sind diese auch noch durch eine Hallkammer künstlich verräumlicht. Der Song gilt damit als einer der ersten Songs mit technisch und künstlich erzeugtem Hall auf der Stimme. Das Klangkonzept des Songs realisiert einen elektrotechnischen Call-and-Response-Effekt einer einzelnen Sängerin. Bildet die trockene Stimme von Page den Call („echte Stimme“), so sind die verhallten Overdubs die Response („Stimme des Gewissens“).

Mit dem Einzug von Mehrspurgeräten in den 1950er-Jahren, mit denen das Tonband in zwei, vier und später acht Spuren unterteilt war, wurden auch die Audioqualität und Praktikabilität von Overdubs deutlich verbessert. Mehrspurgeräte öffneten den Raum für neue Spiel- und Produktionspraktiken (vor allem mit den 16- und 24-Spur-Bandmaschinen der 1970er-Jahre). Spuren konnten nun einzeln editiert, gelöscht, verschoben und überspielt werden. Dies hatte weitreichende Auswirkungen auf Arrangement, Performance, Komposition und Klangexperimente. Mussten Les Paul und Mary Ford ihre Overdubs und den Song in seiner kohärenten Struktur noch sorgfältig planen, kann sich mit dem Mehrspurverfahren ein neues Songkonzept durchsetzen. Songs sind von nun an nacheinander zusammengesetzt, im Prozess der Aufnahme und Editierung erst entstehend. Mit den Mehrspurgeräten wird auch das Overdubbing zur Konvention und Wesenskern produzierter Musik.

  • Burgess, Richard James. The History of Music Production. Oxford u. New York: Oxford University Press 2014. 
  • Doyle, Peter. Echo and Reverb. Fabricating Space in Popular Music Recording, 1900-1960. Middletown: Wesleyan University Press 2005.
  • Hodgson, Jay. Understanding Records. A Field Guide to Recording Practice. New York: Continuum 2019.

Playlist

  • “The Sheik of Araby” – Sidney Bechet’s One Man Band (RCA 1941)
  • “Lover” – Les Paul (Capitol 1948)
  • “Confess” – Patti Page (Mercury 1950)
  • “Bohemian Rhapsody” – Queen (EMI 1975)
  • “Thank You For The Music” – ABBA (Polar Music 1977)
  • “Reckoner” – Radiohead (XL Recordings 2007)
  • “Jungle” – Tash Sultana (Lonely Lands 2017)
  • “Pyramids” – MB14 (Universal 2018)
  • “Woods” – Bon Iver (Jagjaguwar 2019)
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